Verrückt genug Schriftstellerin zu werden - Ein Roman von Brigitte Sattelberger
Kapitel 05 Martha
Hier unterbrach die Autorin Cornelia Schorn ihre Erinnerungen. Der Zug hielt in Augsburg. Sie schaute hinaus; Menschen hasteten an den Waggons vorüber. Vor ihrem Fenster stand ein junges Paar. Liebevoll wischte er ihr die Tränen von den Wangen, bevor er sich losriß und einstieg. Ein Reisender kam die Treppe zum Gleis heraufgerannt, um in letzter Sekunde einzusteigen. Taschentücher wurden geschwenkt. Der Zug aus München fuhr weiter in Richtung Saarbrücken. Leichtes Gebimmel der fahrbaren Kaffeeküche erklang, begleitet von einem Sprechgesang:
„Tee, Kaffee, heiße Würstchen, CocaCola.“
Cornelia lehnte sich bequem in den Sitz des Großraumwagens zurück. Ihre Gedanken eilten erneut in die Vergangenheit und damit zu Martha Schulze. Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Martha in zwei Sätzen zu beschreiben, war einfach unmöglich! Wie und wo sollte sie anfangen?
Martha konnte als besonders liebenswerte, hilfsbereite Kollegin bezeichnet werden. Als Betriebsrätin setzte sie sich für jeden ein, ob im Innen oder Außendienst beschäftigt. Auf ihre Weise war Martha ein Faktotum. Das Herz voller Güte und mit großem Einfühlungsvermögen. Durch ihre umwerfende Art trug sie erfrischend zur Unterhaltung bei und strapazierte mehr als einmal die Lachmuskeln der Belegschaft sowie des Chefs. Es gab so gut wie nichts, was ihr nicht widerfahren wäre.
Einige Kabinettstückchen reihten sich vor Cornelias Augen auf:
Während der knappen Mittagspause wollte Martha stets mehr erledigen, als es die Zeit erlaubte. Sie ging nicht, sie rannte, wuselte, wie die Kolleginnen sagten. Beim Kurzbesuch in einem Kaufhaus schleifte der Gürtel ihres Mantels auf der Rolltreppe und verfing sich. Ein Ruck – Martha wurde in die Knie gerissen, als wolle sie sich in einer Gebetsbank niederlassen. Entsetzen im Gesicht, denn das Ende der Rolltreppe kam immer näher. In letzter Sekunde riß sie sich geistesgegenwärtig den Mantel vom Leib. Der verhakte sich sofort und brachte die Rolltreppe zum Ärger der übrigen Kunden ins Stocken. Sie blieb unverletzt.
Zehn Minuten vor Pausenschluß entdeckte Martha bei C&A ein schönes, preisreduziertes Kleid. Probieren im Schnelldurchgang! Beim Ausziehen klemmte der Reißverschluß. Er ließ sich weder rauf noch herunterziehen. Martha eilte zur Kasse, kaufte das Objekt ihrer Begierde und rannte los. Im Büro gelang es den Kolleginnen mit vereinten Kräften sie von der Neuerwerbung zu befreien.