Kapitel 12 Der Verlagsvertrag

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Cornelia saß in der Küche, frühstückte und überflog die Schlagzeilen der Tageszeitung. Dabei fiel ihr Blick auf einen Artikel über einen Literatur-Club, der Autoren und Autorinnen oder solche, die es werden wollten, zu einem Treffen am Sonntag ins Kleine Theater in der City einlud.

Ob das was für mich ist, überlegte sie. Ihre praktische Vernunft riet: Du solltest zumindest hingehen. Und da es im Saarland heißt: Ich kenne jemanden, der kennt jemanden, der jemanden kennt, der dir vielleicht weiterhelfen kann, nahm sie sich vor, dort ihre Fühler auszustrecken.

Fünfzehn Personen saßen in einer Runde, als sie den Theaterraum betrat. Sie wurde von allen freundlich begrüßt. Der Leiter des Clubs erklärte, daß es sich hier um völlig zwanglose Zusammenkünfte literaturinteressierter Menschen handele und die Treffen einmal monatlich stattfänden. Ein anderer Gast wollte wissen, ob sich Cornelia für Theater interessiere. Dann könne sie eventuell eine Rolle in dem von ihm geschriebenen Stück übernehmen, da die Darstellerin ausgefallen sei. Ein weiterer Kandidat entpuppte sich als Mundartdichter, und ein betagterer Herr – bereits ein bekannter saarländischer Autor und Dichter, wie sich später herausstellte – bot an, mit ihr gemeinsam einen Dresden-Abend zu gestalten. Nach Vorstellung der Anwesenden durch den ClubLeiter, erschienen noch zwei Frauen, die emanzipiert und wortgewandt die Unterhaltung übernahmen und alle wissen ließen, daß sie als Seniorinnen-Studierende die Uni besuchten und im Zweierpack sowieso unschlagbar bis unausstehlich wären.

Die haben vielleicht Courage, stellte Cornelia fest, nicht ohne sich selbst für den ersten Abend ein wenig überfordert zu fühlen. Unter den Anwesenden, die sich ihr auf Anhieb einprägten, war eine siebzigjährige Saarländerin – gebürtig aus Sachsen-Anhalt –, die ihr zum Schluß eine Visitenkarte reichte und bat: „Rufen Sie mich doch einmal an.“

Cornelia hoffte auf neue Impulse durch die Runde und auf einen Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten. Wie sie hörte, hatten die meisten von ihnen bereits publiziert: Lyrik, Mundartgedichte, Krimis, Kinderbücher und anderes. Cornelia sprach bald ihre enttäuschenden Verlagserfahrungen an, was großes Kopfschütteln und Verwunderung bei den anderen hervorrief. Verunsichert stellte sie die Frage:

„Offenbar kennen Sie bessere Bedingungen als ich, vielleicht haben Sie die besseren Verbindungen. Können Sie mir ein paar Tips geben?“

Aber da klappte bei fast allen das Visier herunter: totales Stillschweigen. Steckte hinter der angeblichen Publizierung etwa Angeberei? Oder wollte man seine persönlichen Kosten nicht aufdecken? Und auch sie Lehrgeld zahlen lassen? Cornelia ließ nicht locker. So stellte sich schließlich heraus, daß der überwiegende Teil der Autoren ebenfalls nur mit Druckkostenzuschuß zur Publikation gelangt war.

Einzig bei einem privaten Treffen legte jemand die Karten direkt und offen auf den Tisch. Karin Leipnitz, Mutter von sieben Kindern und wie Cornelia aus der früheren DDR stammend, zeigte sich heimatverbunden und kollegial. Sie schrieb seit einem Jahrzehnt Bücher aller Art. Das neueste sollte in wenigen Monaten erscheinen. Karin Leipnitz offerierte bereitwillig Berichte und Buchkritiken, sie sprach so anschaulich über ihre Mißerfolge und Probleme mit bisherigen Verlegern, daß ihre Erfahrungen für Cornelia zur Lehre wurden.

Der erste Schritt bestand darin, eine Bibliothekarin nach Fachlektüre zum Verlags und Vertragsrecht zu fragen. Der Band einer Autorin, die ihre Erfahrungen damit als Fallbeispiel auf juristischer Basis behandelte, ging in Cornelias Eigentum über. Der nächste Schritt führte Cornelia zum Schriftstellerverband. Der Vorsitzende übergab ihr ein Exemplar des allgemeingültigen Verlagsvertrages. Sie studierte den Inhalt und mußte zu ihrem Erstauen feststellen, daß sie sich mit ihrer Unterschrift auf siebzig Jahre an den Verlag gebunden hatte, ihre Rechte sehr begrenzt und die des Verlages dehnbar wie ein Gummiband waren. Geriet sie an den falschen, bestand echte Gefahr, ordentlich über den Tisch gezogen zu werden. Nur die Pflichten der Autorin waren größer als die des Verlegers. Nach dieser Lektüre wußte sie zumindest eines, nämlich das, was sie nicht wollte: einen Optionsvertrag. Sie wollte sich keinesfalls an einen Verlag auf mehrere Jahre binden, ohne zu wissen, ob sie mit dem Verleger auskam, ob Werbung und Vertrieb so organisiert waren, daß sie sich auch buchstäblich „veröffentlicht“ fand. Im dritten Schritt holte sie die Meinung eines ihr vom Schriftstellerverband empfohlenen Fachmannes ein. Dieser klärte sie über Honorare auf: 5% vom Ladenpreis. Des weiteren machte er darauf aufmerksam, daß man mit der Vergabe von Rechten und Nebenrechten an den Verleger sehr zurückhaltend sein sollte. Denn seien die Nebenrechte erst einmal abgetreten, würde es zu einem späteren Zeitpunkt nahezu unmöglich oder zumindest sehr aufwendig, einzelne Rechte zurückzurufen, etwa wenn sich die Zusammenarbeit als zu schwierig erweise oder der Verleger auf nicht nachvollziehbare PublikationsStrategien setze. Einer Verteilung der Nebenrechte an dem Werk, was die Lizenzvergabe oder Taschenbuchausgaben betreffen könnte, die weniger als 50 Prozent für die Autorin vorsehen, sollte nicht zugestimmt werden ... Nach diesem Gespräch, auch wenn sie nicht alles auf Anhieb verstanden hatte, fühlte sie sich eine Spur aufgeklärter, aber eben nur eine Spur.