Kapitel 12 Der Verlagsvertrag

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Sie fand schnell das genannte Zimmer, klopfte und trat auf das Herein ein. Die Dame vom Empfang mußte ihr Kommen telefonisch angekündigt haben. Oder waren ihr die tausend Augen des Dr. Mabuse durch die Flure gefolgt, fragte sie sich unweigerlich in Erinnerung an alte StasiZeiten. Für die Stelle, die die Referentin bekleidete, war das Zimmer ungewöhnlich klein und spartanisch gehalten. Auf dem Schreibtisch stapelten sich zirka fünfzig Neuerscheinungen, die alle auf einen Rezensenten warteten. Cornelias Euphorie sank in Windeseile auf den Nullpunkt. Gelang es ihr nicht, die Ressortleiterin, Frau Gayer, von der Wichtigkeit ihres Buches zu überzeugen, würde es in Gesellschaft dieser Leidensgenossen auf dem Schreibtisch allmählich dahindämmern. Das Ende wäre vorprogrammiert: zuerst der Papierkorb, dann der Reißwolf. Welch’ entsetzliche Vorstellung!

Cornelia redete mit Engelszungen. Sie versuchte ihren ganzen Charme in die Waagschale zu werfen, während die Kulturbeauftragte ihre Armbanduhr zeitstoppend im Auge behielt. Die Botschaft war klar: Fasse dich kurz, Zeit ist Geld. Cornelia beherzigte den Wink, so daß Frau Gayer in wohlwollendem Tonfall äußerte und dabei mit der Hand auf ihren Schreibtisch wies:

„Sie sehen ja selbst, wie viele Bücher sich hier stapeln. Jeder Verlag erwartet für seine Neuerscheinungen eine Rezension. Dabei ist es die Hälfte nicht einmal wert, überhaupt einen Blick hineinzuwerfen, geschweige denn, diese lyrischen Ergüsse auch noch zu lesen. Abgesehen von der Zeit, die dazu fehlt.“

„Ich verstehe. Aber ich komme nicht als Verlagsvertreterin, sondern habe diese Reise nach Dresden gemacht, da ich mich meiner alten Heimatstadt nach wie vor sehr verbunden fühle und Ihnen meine Bitte persönlich vortragen wollte. Mein Buch hebt sich, wie Sie dem Prospekt mit Titelbild und Klappentext entnehmen können, von anderen dadurch ab, weil es vor allem ein Ereignis behandelt, das nicht in Vergessenheit geraten sollte – die Zerstörung Dresdens.“

Cornelia hatte ihren Blick kurz über die gestapelten Bücherrücken und Titel schweifen lassen.

„Frau Schorn, ich würde Ihnen gar keine Hoffnung machen, wenn dem nicht so wäre. Sobald Ihr Buch auf dem Markt ist, schicken Sie bitte ein Exemplar unter Bezugnahme auf dieses Gespräch.“

„Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen und dafür, daß Sie mich empfangen haben.“

Es klopfte. War das nur Einbildung, aber mit dem Luftzug der sich öffnenden Tür entstand in Cornelia das Bild, der Blätterwald rausche schon empört über diese Bevorzugung ihres Buches. Sie hätte den Aufruhr verstanden. Wenn Frau Gayer ihren Roman wirklich lesen wollte, hatte sie mehr erreicht als erhofft. Daß eine derartige Zusage unverbindlich war, kam ihr gar nicht erst in den Sinn.

Frau Gayer erhob sich, winkte die Eintretende herein und reichte Cornelia zum Abschied die Hand.

Wie auf Wolken schwebte Cornelia mit dem Fahrstuhl nach unten, wo Traudel ihr gespannt entgegensah. Die Freude mußte bei Cornelia aus allen Knopflöchern leuchten, denn Traudel kommentierte sofort:

„Kein Zweifel, du hattest Erfolg! Ich freue mich mit dir.“

Cornelia hakte sich bei der Freundin ein, zog sie zum Ausgang und umarmte sie sogar. Dann schüttelte sie Traudel wie einen Apfelbaum:

„Stell dir vor, sie will mein Buch sogar selbst lesen. Ist das nicht toll?“ Zur Feier des Tages lud sie die Traudel ins SchloßCafé ein.