Verrückt genug Schriftstellerin zu werden - Ein Roman von Brigitte Sattelberger
Kapitel 17 Auf Reisen
Vier Wochen später saß Cornelia im Zug nach Dresden. Es war Anfang Juni, und die erste Station dieser Lesereise würde ihre Heimatstadt sein. Endlich hatte der Literaturverband einen festen Termin für ihre Buchvorstellung eingeräumt. Und von Dresden aus sollte es weiter nach Chemnitz, Plauen und ins Erzgebirge gehen.
Die junge Autorin Cornelia hatte zunächst das ganze Abteil für sich, beim nächsten Halt gesellte sich ein Mann hinzu – groß, schwarzes Haar, dunkle buschige Augenbrauen. Er erinnerte sie vom Aussehen her an Finanzminister Waigel, nur legerer gekleidet. Er breitete sich auf den Plätzen Cornelia gegenüber aus, holte sogleich irgendwelche Pläne aus seiner Aktenmappe und begann, darin herumzustreichen. Cornelia war keine Schwätzerin, aber es lagen acht lange Fahrtstunden vor ihr. Sie hätte nichts dagegen gehabt, sich die Zeit mit einer witzigen, unverbindlichen Unterhaltung zu verkürzen. Echt blöde Gesellschaft, stellte sie fest, als der Fahrgast die Prüfung seiner Unterlagen durch das Studium der Tageszeitung ersetzte.
Cornelia nahm ihr Buch zur Hand und ging die Stellen durch, die sie für ihre Lesung angestrichen hatte, bevor sie in ihrer Tasche nach etwas Eßbarem fingerte. War es das Knacken des Kekses, welches ihr Gegenüber beim Studium des Börsenberichtes aufschreckte; jedenfalls schaute er mit einer Leidensmiene hoch und fragte höflich:
„Fahren Sie nach Dresden in Urlaub?“
Sollte sie die Wahrheit sagen? Sie konnte sich kaum vorstellen, daß er sich für den wirklichen Grund ihrer Reise interessierte. Sollte sie einfachheitshalber Ja sagen?
„Zehn Prozent Urlaub, der Rest ist Arbeit. Ich befinde mich auf Einladung verschiedener Bibliotheken und Vereine auf Lesereise.“
„Oh, Sie sind Dozentin?“
Seine Aufmerksamkeit stieg enorm.
„Nein, Schriftstellerin.“
Komisch, welche Wirkung dieses Wort bei ihm auslöste. Die Zeitung flog auf den Sitz nebenan, und er betrachtete sein Gegenüber auf einmal genauer. Plötzlich saß ihm nicht mehr Frau Niemand, sondern ein weibliches Wesen mit Ambitionen, sogar einem künstlerischen Beruf gegenüber. Cornelia fand sich einem Lachkrampf gefährlich nah. Ein mehr als bedeutungsvolles Lächeln blieb trotzdem auf ihren Lippen zurück.
„Schriftstellerin! Ein interessanter Beruf“, sagte er anerkennend. „Darf man erfahren, was Sie schreiben?“
„Wieso nicht! Meine Werke laufen unter der Sparte Belletristik, also schöngeistige Literatur.“
Es bereitete ihr ungemeines Vergnügen, mit Fachausdrücken aufzuschneiden, merkte sie. Ihre Rede erwähnte das Fiktionale und Fiktive, sie unterschied authentische und fingierte Geschichten, die narrative Form und oral history. Dinge, die sie sich nicht zuletzt aus ihrem schlauen Buch angeeignet hatte. Sie würde ihm keinesfalls auf die Nase binden, daß es ihr erster Roman war, den sie vorstellte.
„Möchten Sie vielleicht einen Blick in das Buch werfen?“ fragte sie freundlich und reichte es ihm.